Nancy: Die ruhige Seite einer Stadt
„Die Kunst des Ausruhens ist ein Teil der Kunst des Arbeitens.“
John Steinbeck
In Nancy ist das Wetter morgens ähnlich wie in Dijon: viel Nebel und Kälte. Meine Unterkunft liegt auf einem Plateau, sodass ich bei meinem Spaziergang in die Altstadt von Nancy einen wunderbaren Blick auf den Wald der Umgebung erhaschen kann. Doch erst einmal stellt sich die Frage, was ich heute am besten anziehe. Bei dem wechselhaften Schauspiel am Himmel entscheide ich mich wieder für einen Kompromiss: unten lang, oben kurz. Genau gegensätzlich zu meinem Outfit in Dijon.

Als ich die Straßen entlanglaufe, ist es unerwartet still. Zwar habe ich sonntags mit weniger Verkehr und Menschenmassen gerechnet, doch in diesem Stadtviertel ist echt tote Hose. Bis ich den Marktplatz unweit der ellenlangen Sozialwohnungen erreiche (zumindest lässt die Klientel auf der Straße diesen Rückschluss zu). Denn jetzt herrscht auf einmal ein dichtes Gedränge. Schnell orientiere ich mich anhand der Straßenschilder und gehe weiter auf das Stadtzentrum von Nancy zu. Bis auf ein paar Raben sowie einige Autos bin ich erneut alleine.
Ein Kindheitstraum wird wahr
Nancy ist größtenteils wieder wie ausgestorben. Entfernt höre ich das Quietschen eines altmodischen Schildes an einer Hausfassade. Eigentlich würden sich diese Gassen auch gut als Kulisse eines Horrorfilms eignen, sofern die Sonne nicht scheint, was sie aber gerade tut. Und die heitere Musik direkt vor mir wäre zum Gruseln ebenfalls eher fehl am Platz. Neugierig gehe ich auf den Lärm zu. Hinter dem Triumphbogen der Stadt, irgendwie scheint es den in Frankreich wie Sand am Meer zu geben, steht ein Zirkuszelt. Bei einer kurzen Recherche im Internet stelle ich später erstaunt fest, dass Triumphbögen beispielsweise auch in Rom zu finden sind.

Kurz überlege ich, ob ich meinen Besuch in Nancy mit einer Zirkusvorstellung verknüpfen soll. Für spontane Interessenten sieht es leider jedoch schlecht aus. Deshalb laufe ich weiter zum Stanislas-Platz. Noch verwundert über diesen so gar nicht französischen Namen, betrete ich eine kleine Freiluft-Gartenausstellung in der Mitte des Ensembles. Dort steht versteckt eine Statue, die das Rätsel lüftet: Der ehemalige König von Polen war zudem der Herzog von Lothringen. Schon damals hatte man anscheinend in der Politik einen echt schrägen Sinn für Humor.
Die Altstadt von Nancy ist mit einem Schlag im Übrigen wieder voll. Dabei fällt mir das erste Mal auf, dass die Hunde sich, anders als in südlicheren Städten, hier zu benehmen wissen. Außerdem lassen sich die Menschen in zwei Gruppen aufteilen. Die einen brunchen ungeniert, wobei ein Gläschen Wein, beziehungsweise eine Flasche, auch vormittags nicht fehlen darf. Die anderen schlendern über einen weitläufigen Flohmarkt. Ich schließe mich der letzten Gruppe an. Allerdings finde ich Nancy bis jetzt eher unscheinbar, also nicht besonders.

Das ändert sich schlagartig, als ich aus dem Augenwinkel einen ungewöhnlichen Laden entdecke. Mein Herz als Harry Potter Fan schlägt unwillkürlich höher, da ich das erste Mal in meinem Leben vor einem Geschäft stehe, das man ebenso gut in der erfundenen magischen Welt der Buchreihe finden könnte. Drinnen gibt es Zauberstäbe, Umhänge und Leckereien. Noch beherrsche ich mich. Aber insgeheim möchte ich am liebsten das gesamte Sortiment leer kaufen. Als ich einen Becher sehe, der bei Hitze beziehungsweise Kälte das Design ändert, ist es um mich geschehen.
Zum Glück ist die Ausgabe noch in meinem Budget. Jetzt sehe ich hoffentlich bald die Karte des Rumtreibers bei meinem morgendlichen Kaffee. Ansonsten tun mir nach drei Stunden auf den Beinen allmählich die Füße weh. Ich habe im Hinterkopf, dass ich für den Rückweg erneut anderthalb Stunden größtenteils bergauf muss, sodass ich mich alsbald auf den Weg zurück in meine Unterkunft mache.
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