Epidauros: Wo die eigenen Probleme unbedeutend werden
„Lass los. Was soll denn schon passieren?“
Lea Hennrich
Während ich mich so langsam an das Leben in Asini gewöhne, informiere ich mich über Ausflugsmöglichkeiten in der Umgebung. Neben Epidauros sticht mir vor allem Mykene ins Auge. Letzteres kommt mir wegen seiner Assoziationen und meinen Kenntnissen der griechischen Geschichte bekannt vor. Ersteres sagt mir hingegen überhaupt nichts, die Stätte soll jedoch sehr bekannt sein.
Obwohl ich mich gut in Asini einlebe, bin ich doch ein wenig einsam. Die Menschen direkt im Ort sprechen mehr schlecht als recht Englisch und in Nafplio – der nächstgrößeren Stadt – halten sich die Konversationsmöglichkeiten auch sehr in Grenzen. Aufgrund dieser Tatsache werde ich abgesehen, von der Arbeit, zusehends von meinem Seelenleben eingenommen.
Jetzt, da ich Zeit habe, verlangt meine Psyche anscheinend, dass ich mich mal mit mir selber auseinandersetze. Das soll schließlich bis zu einem gewissen Grad gesund sein. Ich lerne daher im Rhythmus mit dem hiesigen Dorfleben vor allem eines: Nämlich loszulassen. Das beinhaltet, dass ich mich gelegentlich für meine eigenen Schwächen auch einfach mal selbst von Haken lasse. Für jemanden, der sich als perfektionistisch beschreibt, ist das einfacher gesagt als getan. Deshalb gönne ich mir eine wohlverdiente Auszeit von mir selbst und zwar zuerst in Epidauros.
Was mich in Epidauros erwartet
Für meinen Ausflug wähle ich einen Samstag aus. Da ist auf den Straßen zwar einiges mehr los als normalerweise, aber ich erhoffe mir von dieser Auswahl, dass ich gleichzeitig etwas besser abschalten kann. Außerdem breche ich erst gegen Mittag auf, damit ich die morgendliche Rushhour – die es in Asini auf der Hauptstraße ebenfalls gibt, man glaubt es kaum – umgehen kann.
Ausgeschlafen und guter Dinge schultere ich meinen Rucksack, vor meinem Auto bleibe ich jedoch entgeistert stehen. Man hat mich zugeparkt. Mit einem gottverdammten Mofa. Fasziniert beäuge ich das Gefährt, das zielsicher so platziert worden ist, dass ich unmöglich, ohne einen Unfall zu verursachen, ausparken können werde. Einen kleinen fahrbaren Untersatz auf diese Art und Weise abzustellen, ist ja schon fast eine Kunst. Vor allem, weil die gesamte restliche Straße frei ist.
Glücklicherweise bin ich mir ziemlich sicher, dass dem Besitzer des Kiosks von nebenan zugleich das Mofa gehört. Mein Griechisch und sein Englisch reichen für die Verständigung zwar nicht aus, aber wozu hat man schließlich Hände und Füße? Sobald ihm klar wird, dass er mich zugeparkt hat, rennt er sichtlich peinlich berührt nach draußen. Während er sich wortreich und mit ausladenden Gesten entschuldigt, muss ich unwillkürlich grinsen. Irgendwie finde ich diesen Mann gerade einfach nur süß.
Die Fahrt nach Epidauros verläuft vergleichsweise ruhig. Ich fahre über fast verlassene Straßen, an deren Rand Händler Obst – überwiegend Orangen und Mandarinen – verkaufen. Parkplätze gibt es keine, sodass ich mich schon wundere, wie der Straßenverkauf vonstattengehen soll. Meine Frage hat sich schnell geklärt: In Griechenland hält man einfach an Ort und Stelle, wenn man etwas möchte, auch außerhalb einer Stadt. Was die jeweiligen Schilder dazu zu sagen haben, ist schlichtweg irrelevant. Mein Weg nach Epidauros führt mich durch hügeliges Gelände. Er endet mehr oder weniger abrupt auf einem riesengroßen Parkplatz mit Reisebussen. Schon jetzt gehen mir die Touristen tierisch auf die Nerven.
Die historische Stätte Epidauros
Nachdem ich an der Kasse vorbei bin (und mir nebenbei das Gequengel von deutschen sowie französischen Teenagern angehört habe, die überall sein wollen, nur nicht hier), zieht es mich zum antiken Theater in Epidauros. Angeblich ist es nicht nur das größte, sondern auch das eindrucksvollste Theater der Antike in Griechenland. Sobald ich in dem Areal stehe, wird mir klar, dass sich die Fahrt nach Epidauros schon jetzt für mich gelohnt hat.
Ich bin hin und weg: Das Theater an sich ist beeindruckend, seine Präsenz wird jedoch von der wundervollen Kulisse der grünen Berge noch hervorgehoben (siehe Beitragsbild). Mein einziger Wermutstropfen ist, dass ich aufgrund des unberechenbaren Wetters meine Winterstiefel angezogen habe und mich nun kaputt schwitze. Das macht allerdings nichts, denn ich bin rundum glücklich. Am liebsten würde ich hier nie wieder weg.
Als ich mich dann doch von dem Anblick des Theaters in Epidauros loseise, macht sich die Wirklichkeit bemerkbar. Hatte ich eben noch meinen Gedanken nachgehangen, wie das Leben in der Antike an diesem Ort wohl gewesen sein muss, packt neben mir eine Familie ihre Brotzeit aus. Manche Leute haben einfach keinen Sinn für die Aura von geschichtlichen beziehungsweise historischen Stätten.
Ruckartig stehe ich auf, um das Areal weiter zu erkunden. Es stellt sich schnell heraus, dass jenes äußerst weitläufig ist. Im örtlichen Museum erfahre ich unter anderem, dass Epidauros eine Kultstätte für den Gott Asklepios und seinen Vater Apollon gewesen sein soll. Zwischen all den antiken Ruinen verliere ich jegliches Zeitgefühl. Fast ist es so, als hätten Raum und Zeit überhaupt keine Bedeutung mehr. Ich spüre annähernd eine Art von innerem Frieden.
Dieser Zustand hält die gesamte Rückfahrt über an. Ich fühle mich mehr als nur tiefenentspannt. Ob sich so der Zeitraffer des eigenen Lebens anfühlt? Ich gehe mal nicht davon aus, dass ich gleich tot umfalle, deshalb ist die Erfahrung durchaus angenehm. Gleichzeitig rückt sie meine Alltagsprobleme in eine bessere Perspektive. Vieles, über das ich mir normalerweise Sorgen mache, regelt sich häufig von selbst oder ist halb so schlimm. Keine fünf Minuten später, nachdem mir diese Erkenntnis gekommen ist, flute ich mein Badezimmer, da mir entfallen ist, dass die örtlichen Rohre etwas zu wünschen übriglassen. Egal, es gibt Schlimmeres.
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