Korinth: Geschichte zum Greifen nah?
„Solange Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen, müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken.“
Unbekannt
So langsam aber sicher, kann ich Asini nicht mehr sehen. Das Dorfleben ist zwar wunderbar, denn ich habe mich allmählich ein bisschen besser eingelebt, gleichzeitig spreche ich nach wie vor nicht gut genug Griechisch, um mit jemandem eine längere Unterhaltung zu führen. Die Umgebung gefällt mir zwar auch außerordentlich gut, gleichzeitig erscheint einem nach einer gewissen Zeit wahrscheinlich selbst das Paradies wie ein langweiliger Ort. Kurz gesagt: Mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich muss einfach mal raus. Und was gäbe es dafür eine bessere Option als die geschichtsträchtige Stadt Korinth mit ihrem berühmten Kanal?
Fahrt nach Korinth
Ich freue mich unfassbar über einen Besuch im antiken Korinth, da ich den Namen der Stadt nicht mehr aus meinem Kopf bekomme, seitdem ich ihn im Geschichtsunterricht das erste Mal gehört habe. Wahrscheinlich kennt auch jeder den Kanal von Korinth, der die Halbinsel Peloponnes, auf der ich momentan lebe, von dem Rest des griechischen Festlands trennt. Allein der Szenenwechsel während der Autofahrt tut mir schon unfassbar gut: Ich bestaune die Formation der Berge im Hinterland und ich bin tatsächlich froh, für eine gewisse Zeit kein Meer zu sehen. Ist denn das zu fassen?
Trotz allem komme ich nicht umhin zu bemerken, dass die griechischen Autofahrer entweder extrem tiefenentspannt sind oder eine sehr große Portion Todessehnsucht verspüren – die Überholmanöver, die ich zum Teil beobachte, sind gelinde gesagt halsbrecherisch. Das hält mich jedoch nicht davon ab, mir während der Fahrt in aller Seelenruhe die Landschaft anzusehen. Am Fahrstil der anderen Fahrer kann ich schließlich eh nichts ändern.
Dabei entdecke ich, mehr oder weniger unfreiwillig, noch eine Neuheit in Bezug auf die örtlichen Straßenverhältnisse: Bahngleise beziehungsweise Bahnübergänge befinden sich bevorzugt hinter einer Kurve (so scheint es zumindest), es gibt keine Bahnschranken und wenn man drüberfährt, spürt man das sogleich weitreichend im gesamten Körper. Es ist äußerst unangenehm, wobei mir mein armes, gebeuteltes Auto fast noch mehr leidtut als meine durchgeschüttelten Muskeln und Knochen.
Weniger Geschichte, mehr Tierelend
Das Hostel, das ich für die Nacht gebucht habe, befindet sich in einer ruhigen Seitenstraße. Ich parke direkt vor einem Yoga-Studio, in dem ein gut besuchter Nachmittagskurs stattfindet. Der Name meiner Unterkunft bezieht sich auf Sisyphos, dessen Sage untrennbar mit Korinth verknüpft ist, da er sowohl der König als auch der Gründer der Stadt war. Ein Handy mit Internetverbindung hat manchmal durchaus seine Vorteile.
Leider zeigt es mir nach einer kurzen Recherche ebenfalls an, dass ich die Stätte des antiken Korinth heute zu Fuß nicht erreichen werde. Der Kanal von Korinth ist schon knapp zehn Kilometer entfernt. Ich schließe einen Großteil meiner Habseligkeiten im Hostel in einem Spind ein. Es ist zwar momentan noch leer, aber wer weiß, ob mich bei meiner Rückkehr keine Gesellschaft erwartet. Danach ziehe ich alleine los, wobei ich zuerst an einem wunderschönen, zugleich verlassenen, Strand lande. Macht nichts, ich genieße für fünf Minuten einfach nur die spektakuläre Sicht, die sich mir bietet.
Danach laufe ich weiter über eine Brücke, die nicht besonders vertrauenerweckend aussieht, sich beim Hinübergehen jedoch als stabil erweist. Auf der anderen Seite angekommen, befinde ich mich anscheinend im Korinther Ghetto. Die Häuser sind marode, die Gestalten auf der Straße zwielichtig. Schleunigst verschwindet mein Handy in dem Ärmel meines Pullovers, meine Kamera hole ich erst gar nicht aus der Tasche. Sobald ich aus dem Viertel draußen bin, fallen mir die Straßenkatzen ins Auge, die selbst für griechische Verhältnisse absolut erbarmungswürdig aussehen. Hinter einem Zaun entdeckte ich einen Wachhund, der mich mit traurigen Augen ansieht.
Das ist selbst mir zu viel. Ich werde gleichzeitig wütend sowie unfassbar traurig. Da ich mich inzwischen in einer gehobeneren Gegend befinde, hole ich mein Handy raus und versuche anhand des Spiels „Pokemon Go“ die Umgebung zu entdecken und mich von dem Elend um mich herum abzulenken. Letzteres funktioniert ganz gut, ersteres scheitert kolossal. Einige gefangene Pokemon später, weiß ich zwar, wo sich der Standort einer Kirche befindet, auf Sightseeing kann ich mich trotzdem nur bedingt konzentrieren. Immerhin bin ich ein wenig ruhiger geworden.
Am Hafen sowie an der Promenade entlang, laufe ich zum Kanal von Korinth. Zum Aussichtspunkt werde ich es vor dem Einbruch der Dunkelheit zwar nicht mehr schaffen, aber ich möchte zumindest den Kanal erreichen. Als ich schließlich dort ankomme, bin ich ziemlich enttäuscht. Neben ein paar alten Mauern, gibt es eine schmale Brücke, über die Autos fahren. Das war es. Immerhin war ich da. Auf dem Rückweg hole ich mir im Supermarkt noch schnell etwas zu essen.
Während ich bereits meine zweite Packung Instantnudeln verschlinge, klingelt es an der Tür des Hostels. Da die Besitzerin nicht zugegen ist und mir einen Code gegeben hat, damit ich reinkomme, entscheide ich mich dazu, die Klingel vorerst zu ignorieren. Stattdessen mache ich mich über mein wahrlich ungesundes Abendessen her. Warum machen diese Dinger denn nicht satt?
Es klingelt erneut, eine Sekunde später schaut jemand durch die Fensterscheibe und winkt mir. Vor mir steht ein spanischer Mittvierziger, der behauptet, ebenfalls für heute Nacht gebucht zu haben. Da der Gute absolut kein Englisch spricht, finde ich mich wenig später als Dolmetscherin wieder. Aufgrund der Tatsache, dass mein Spanisch ziemlich eingerostet ist, bin ich froh als sich die Situation geklärt hat. Er nimmt den anderen Schlafsaal, was mir nur Recht ist, weil er sehr stark nach Bier riecht.
Abschied ohne Trennungsschmerz
Am nächsten Morgen bin ich früh auf den Beinen. Korinth werde ich nicht vermissen, dafür haben die erbarmungswürdigen Tiere auf den hiesigen Straßen gesorgt. Der Spanier ist auch schon wach, obwohl er gestern erst vergleichsweise spät wieder im Hostel war. Dass der Biergeruch noch stärker ist, muss ich an dieser Stelle glaube ich nicht extra erwähnen, oder?
Ich trete mit meiner Reisetasche und meinem Rucksack aus der Tür. Zumindest scheint die Sonne, es ist angenehm warm. In dem Yoga-Studio findet anscheinend gerade die Morgenrunde statt. Die Straße ist ruhig, fast schon idyllisch. Kurz halte ich inne und nehme die Szenerie in mich auf, ich mache ein gedankliches Foto. Vielleicht kann ich Korinth wenigstens mit einem positiven Bild verknüpfen. An der Tankstelle amüsiere ich mich dann richtig: Der junge Tankwart müht sich sichtlich mit meinem Tankdeckel ab, was ihm unfassbar peinlich zu sein scheint. Ich muss ein Grinsen unterdrücken.
Schließlich drückt er mir mein Wechselgeld in die Hand und meint, mein Tankdeckel sei kaputt. Wenn der wüsste, dass mein Auto erst kürzlich in der Werkstatt gewesen ist und wie ramponiert es vorher ausgesehen hat. Außerdem habe ich mir den Tankdeckel gestern noch angesehen, da war alles in Ordnung. Ich bin ausnahmsweise mal nett und verzichte darauf, ihn auf diesen Umstand hinzuweisen. Bei meiner Abfahrt aus Korinth habe ich nun wesentlich bessere Laune.
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