Pisa – Die Stadt der vielen Gesichter
„… Hab mein Gleichgewicht verlor’n, doch kann trotzdem grade stehn….“
Rosenstolz (Ich bin ich)
Am Ostersonntag komme ich in Pisa an. Davor habe ich bei der Autofahrt einen Wechsel der Landschaft registriert. Ich bin nun höchst offiziell in der Toskana. Nachdem ich Florenz hinter mir gelassen habe, macht sich allmählich die Vorfreude auf den schiefen Turm von Pisa in mir breit. Denn dieses Bauwerk ist der einzige Grund, weshalb mich die Stadt überhaupt interessiert. Ansonsten würde ich sie wahrscheinlich einfach links liegen lassen.
Kurz nach meiner Ankunft stellt sich jedoch ein eher grundlegenderes Problem ein. Ich habe außer etwas Kleinkram wie Müsliriegeln, Schokolade und Reisewaffeln nichts Essbares mit. Noch guter Dinge spaziere ich durch die unmittelbare Nachbarschaft meines Hotels. Es ist vier Uhr nachmittags. Irgendetwas wird ja wohl geöffnet haben. Doch Fehlanzeige. Allmählich zeigt mir mein Körper mehr als deutlich, dass er sich eine herzhafte Mahlzeit wünscht. Kurzentschlossen laufe ich die drei Kilometer zum Hauptbahnhof von Pisa. Dort hat bestimmt ein Geschäft geöffnet. Und siehe da: Ich habe Glück. Zwar gebe ich gefühlt ein Vermögen aus, aber das ist mir sowas von schnuppe.
Die Welt trifft sich in Pisa
Während ich mich in Bomba noch wie der letzte Mensch auf diesem Planeten fühlte, begegnet mir nun Hinz und Kunz. Am Ostersonntag habe ich dank der vielen Menschen schwarzafrikanischer Abstammung einen kleinen Vorgeschmack auf meine Erfahrung am Ostermontag bekommen. Aufgrund der Tatsache, dass meine Unterkunft ein bisschen außerhalb von Pisa liegt, laufe ich erst einmal eine knappe Stunde, bis ich das Stadtzentrum beziehungsweise die Altstadt erreiche. Abgesehen von den Autos mit Kennzeichen aus aller Herren Länder, höre ich neben Italienisch ein buntes Gemisch aus Fremdsprachen.
Als der schiefe Turm von Pisa in Sichtweite ist, ergreift mich eine seltsame Ruhe. Ich habe das Gefühl, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Je nach Winkel sieht das Gebäude übrigens gar nicht krumm aus. Eine interessante Laune der Optik. Später möchte ich unbedingt noch ein wenig zur Entstehungsgeschichte des schiefen Turms von Pisa recherchieren. Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, verschwindet meine Tunnelwahrnehmung wieder und ich registriere endlich mein Umfeld. Was ich sehe, bereitet mir Unbehagen. Denn auf dem sogenannten Platz der Wunder – wo sich abgesehen vom schiefen Turm von Pisa noch einige weitere Gebäude befinden – herrscht Hochbetrieb. Schließlich sind vielerorts sogar Ferien.
Da ich Menschenmengen nur in kleinen Dosen aushalte, brauche ich jetzt unbedingt etwas zu Mittag. Nach einer erfolgreichen (metaphorischen) Schlammschlacht im MacDonalds um die Ecke, laufe ich mit meiner Mahlzeit wieder zurück in das Getümmel. Zufrieden lasse ich mich auf einer der Rasenflächen nieder und beginne zu essen. Neben mir veranstalten eine Japanerin in Tüllkleid und Stückelschuhen sowie ihr Partner ein Fotoshooting. Amüsiert sehe ich zu.
Nachdem ich sowohl die afrikanische als auch die touristische Seite von Pisa erlebt habe, brauche ich nun dringend Ruhe. Und Schatten. Denn allmählich bekomme ich einen Sonnenbrand. Meine Sonnencreme habe ich natürlich – wie sollte es auch sonst sein? – ganz unten in einem meiner Koffer verstaut. Umpacken steht momentan jedoch außer Frage. Ein kurzer Blick auf die Karte zeigt mir, dass durch Pisa ein Fluss fließt.
Am Arno sollte ich ein schattiges Plätzchen abseits der Massen finden können. Kaum sitze ich dort zehn Minuten, wird mir kalt. Außerdem habe ich am ganzen Körper Muskelkater. Das Gepäckschleppen in Kombination mit den langen Spaziergängen macht sich bemerkbar. Aus diesem Grund laufe ich vergleichsweise früh durch die Studentenviertel von Pisa zurück zu meiner Unterkunft. In einer Seitengasse feiern einige von ihnen eine ausgelassene Party. Heute werde ich nicht alt, denn morgen steht meine Weiterreise nach Venedig an. Dafür möchte ich ausgeruht sein.
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