Athen – Sexuelle Belästigung statt Sightseeing
„Es sind nicht unsere Fähigkeiten, die zeigen wer wir sind, sondern unsere Entscheidungen.“
Albus Dumbledore in „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ (J.K. Rowling)
Eigentlich war mir von Anfang an klar, dass ich bei einem Aufenthalt in Griechenland an Athen nicht vorbeikommen werde. Auf der Suche nach einer Unterkunft – ich bin inzwischen so realistisch, dass ich mir die Hin- sowie Rückfahrt nicht an einem einzigen Tag zumute – erweist sich mein Plan als denkbar schwierig. Entweder sind die Preise für ein Zimmer in der griechischen Hauptstadt unfassbar teuer oder das Hostel beziehungsweise Hotel liegt nah am Zentrum. Nach Thessaloniki und Budapest kann ich nun wirklich für eine ganze Weile auf den Verkehr in einer Großstadt verzichten. Meine Wahl fällt schließlich auf das nahegelegene Piräus, welches in der Antike vor allem für seinen Hafen bekannt war.
Alle Wege führen nach Athen
Ich breche wieder mittags von Asini aus auf, um zumindest die ersten Stunden abseits des Feierabendverkehrs zu nutzen. Wenn alles gut geht, komme ich noch vor dem schlimmsten Verkehrsaufkommen in Athen an. Abgesehen von meiner Zeitplanung, entscheide ich mich zudem bewusst gegen die Nutzung von Mautstraßen. Je nach Strecke gibt es die in Griechenland gefühlt an jeder Ecke und das Bremsen vor der Mautstation möchte ich mir ebenso sparen wie den Verkehr auf der Autobahn. Außerdem kann ich mir auf diese Art in aller Ruhe die Landschaft ansehen.
Auf der Hälfte der Strecke geht alles gut. Zwar fahren die Griechen immer noch wie die Berserker, es fällt mir jedoch so gut wie nicht mehr auf. Solange die Verkehrsführung wie geplant läuft, kann eigentlich im Straßenverkehr nichts mehr schieflaufen. Gerade als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht habe, erscheint vor mir am Horizont eine Baustelle mit einer fast nicht existenten Beschilderung. Während ich versuche, der Umleitung zu folgen, nicht auf mein Navi zu hören, das es für eine gute Idee hält, mitten auf der Straße eine hundertachtzig Grad Wendung hinzulegen, und möglichst keinen Unfall zu verursachen, setzt allmählich die Dämmerung ein.
Ich mache auf einem unbefestigten kleinen Rastplatz an einer Straße halt, die direkt am Meer entlangführt. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich Athen wohl nicht vor dem Einbruch der Dunkelheit erreichen werde. Der Sonnenuntergang, den ich von meinem Standort aus beobachten kann, ist es allerdings allemal Wert. Das Hostel in Piräus hat mir im Vorfeld außerdem einen Parkplatz zugesagt, sodass ich guter Dinge wieder in mein Auto steige und weiterfahre. Vor der angegebenen Adresse stellt sich jedoch Ernüchterung ein: Weder weist ein Schild auf die Unterkunft hin, die ich gebucht habe, noch ist ein Parkplatz frei.
Nachdem ich drei Mal um den Block gefahren bin und zudem niemanden telefonisch erreiche, stelle ich mein Auto ratlos vor einem Restaurant in der Nähe ab. Entschlossen zücke ich mein Handy, um dem Hostel schnell ebenfalls eine E-Mail zu schreiben. Vielleicht bekomme ich dann ja eine positive Reaktion. Als nach weiteren 20 Minuten immer noch nichts passiert ist, sehe ich mich vor meinem inneren Auge bereits ohne Unterkunft nachts in Athen umherirren. Na herrlich, ich hatte schon seit jeher einen Hang zu Weltuntergangsszenarien.
Bevor ich in Selbstmitleid versinke, krame ich nochmal mein Handy hervor. Dann versuche ich es eben mit Telefonterror – irgendwann muss da schließlich jemand ans Telefon gehen. Und tatsächlich erreiche ich den Besitzer des Hostels, der mich umgehend anschnauzt, warum ich denn nicht vor dem Hostel im Halteverbot geparkt hätte. Etwas perplex starre ich mein Handy an und habe schon eine harsche Erwiderung auf der Zunge, die ich jedoch nicht loswerde, da der gute Mensch zum Glück bereits einlenkt.
Zufrieden mache ich mich auf den Rückweg ins Hostel. Vor diesem soll ich in eine andere Parklücke einparken. Mein Auto ist wirklich nicht groß, aber ohne Hilfe wäre das Mofa, das direkt vor dem Parkplatz steht, jetzt wahrscheinlich um einige Kratzer reicher, genau wie mein Fahrzeug. Glücklicherweise geht das dem Besitzer meiner Unterkunft nach zwei Sekunden ebenfalls auf. Zuvor hat er sich schon von mir abgewandt, um zurück ins Haus zu gehen. Nun weist er mich netterweise ausgiebig in die Parklücke ein. Ich habe noch nie so enge Straßen erlebt und falle zufrieden in mein Bett.
Athen von seiner schlechtesten Seite
Am nächsten Morgen möchte ich gar nicht aufstehen. Wenn ich die Augen öffne, sehe ich nur dunkelblaues Wasser über einem hellblauen Himmel. Die Sonne scheint und vereinzelt fahren einige Fischerboote vorbei. Meine beiden Zimmergenossen – einem Engländer, der in den Niederlanden lebt und gerade in Griechenland überwintert, sowie einem Kanadier, der wegen Covid über ein Jahr in Vietnam festgesessen hat, – beneiden mich um meinen direkten Blick aufs Meer. Der Tag in Athen kann nur gut werden.
Ich habe mich bereits im Vorfeld darüber informiert, wie weit Piräus von Athen entfernt ist: Zur Akropolis brauche ich circa acht bis zehn Kilometer, je nachdem, welche Route ich auswähle. Entschlossen marschiere ich los. Zum Frühstück gab es einen halben Liter Fruchtsaft und zwei Schokoladenkekse, die ich mir noch schnell am Abend zuvor besorgt habe. Guter Dinge spaziere ich durch die größtenteils menschenleeren Vororte von Athen. Einmal muss ich auf einer Brücke Gleise überqueren, wobei ich mitten auf der Brücke feststelle, dass sich deren Metall verzogen hat. Ich beeile mich, dass ich von dem Ding wieder runterkomme. Es ist mir definitiv nicht geheuer. Ansonsten verläuft der Weg eher ereignislos, sodass ich genug Zeit habe, um diverse Graffiti zu bewundern.
Kurz vor der Akropolis gelange ich in eine Art Stadtpark. Ein kurzer Blick auf meine Karte verrät mir, dass ich mich am Filopappapos Hill und in der Nähe des Gefängnisses von Sokrates befinde. Sobald ich mich ein wenig von der Straße am Rande des Parks entfernt habe, schlucken die Pflanzen die meisten Geräusche von Athen. Fast komme ich mir vor wie in einem Wald. Gleichzeitig bin ich nicht alleine, denn immer wieder begegnen mir vereinzelt weitere Touristen.
Es wird brenzlig: Respektlose Männer und ein wütender Hund
Auf dem Weg zum Gefängnis von Sokrates steht auf einmal ein schwarzer Hund vor mir und knurrt mich an. Ich versuche in einiger Entfernung um ihn herumzugehen, doch er stellt sich mir demonstrativ in den Weg und fletscht die Zähne. Nun gehe ich langsam aber sicher rückwärts. Auf einer Bank sitzt eine Touristin aus Frankreich, die telefonierend immer wieder zu uns hinüberschaut, sogar nach dem Hund ruft, sich jedoch nicht weiter bequemt, etwas zu unternehmen. Frustriert drehe ich um. Dann nehme ich eben einen anderen Weg.
Plötzlich steht ein junger Mann aus Bangladesch vor mir und spricht mich an. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich an einem Gespräch kein Interesse habe, und er verschwindet. Fünf Minuten später ist er wieder bei mir und hält mir seine Hand hin. Etwas genervt gebe ich ihm meine, denn bis jetzt war das Ganze nur harmlose Konversation und im Ausland möchte ich schließlich höflich bleiben. Daraufhin fragt er mich auf Englisch, ob ich ficken wolle (exakte Wortwahl). Da wird mir klar, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe. Doch auch dieses Mal trollt er sich nach einer bestimmten Handbewegung meinerseits.
Noch fühle ich mich vergleichsweise wohl und halte nach dem Aussichtspunkt auf dem Hügel Ausschau. Vor mir kriecht eine Schildkröte über den Boden. Seit wann gibt es denn Schildkröten in Athen? Wo ist dieses Exemplar wohl ausgebrochen? Ein kurzer Blick zurück verrät mir, dass der Mann aus Bangladesch es erneut wissen will. In meiner Magengegend stellt sich ein komisches Gefühl ein. Auf einer Bank ein paar Meter vor mir sitzt ein junges Pärchen, das ich mit wenigen Schritten erreiche. Falls die Situation unschön wird, können Zeugen nicht schaden.
Der Kerl aus Bangladesch stellt sich mir demonstrativ in den Weg und quatscht mich weiter zu. Auf einmal spüre ich seine Finger an meiner linken Brustwarze. Dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig: Auf der einen Seite merke ich eine aufsteigende Panik in meiner Magengegend, die sich jedoch sehr in Grenzen hält. Andererseits gehe ich vollkommen ruhig und rational in Windeseile meine Möglichkeiten durch. Wenn es hart auf hart kommt, habe ich bei einer körperlichen Auseinandersetzung keine Skrupel. Auf einen Zusammenstoß mit der griechischen Gerichtsbarkeit in Athen würde ich jedoch gerne verzichten.
Daher entscheide ich mich ohne groß nachzudenken vorläufig für die Deeskalation. Ohne den unangenehmen Zeitgenossen vor mir aus den Augen zu lassen, wende ich mich auf Englisch an das Paar, welches jedoch nicht reagiert. Ich versuche es unbeirrt weiter, woraufhin der Mann aus Bangladesch es mit der Angst zu tun bekommt. Das Pärchen hat nach wie vor nicht erkennen lassen, dass es sich für mich interessiert. Ich bemerke, wie die Anspannung von mir abfällt und mein Körper ein wenig zu zittern beginnt. Bevor ich mir diesen Luxus gestatte, muss ich jedoch aus dem Park raus.
Sobald ich aus dem Stadtpark draußen bin, wirkt Athen wieder vollkommen normal. Zufällig fragt mich ein deutscher Lehrer aus der Nähe von Münster, der einen Teil seines Sabbaticals in Athen verbringt, nach dem Weg. Er möchte ebenfalls zum Aussichtspunkt und danach weiter zur Akropolis. Kurzentschlossen biete ich ihm meine Gesellschaft an. Während wir uns nett unterhalten, entdecken wir Athen zusammen und ich entspanne mich endlich ein bisschen. Da es der erste Sonntag im Monat ist, ist der Eintritt zur Akropolis sogar frei und es tummeln sich Musiker in den Straßen. Dank der Geschichtskenntnisse meines Begleiters, kann ich mir außerdem die Lektüre der Infotafeln größtenteils sparen.
Als wir uns nach zwei Stunden voneinander verabschieden, ist es so, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Innerhalb von zehn Minuten werde ich nacheinander von drei Männern aus Afrika angesprochen, wobei mich der letzte zudem wüst beschimpft. Ich habe jetzt endgültig die Schnauze voll. So macht Sightseeing nun wirklich keinen Spaß. An der Haltestelle Monastiraki steige ich schließlich in eine Metro in Richtung Piräus. Diese Stadt erkunde ich zwar noch kurz am folgenden Tag, allerdings bin ich mehr als froh, als ich Athen endlich hinter mir lasse.
Weitere Impressionen aus Athen und Piräus
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