Lea Hennrich: Thessaloniki

Thessaloniki: Reise durch das Niemandsland

„Helden sind diejenigen, die eine Minute länger durchhalten.“

Siegfried Fischbacher

Die Nacht in Budapest ist kurz. Nach nur viereinhalb Stunden Schlaf breche ich nach Thessaloniki auf. Meine Route verläuft über den Balkan. Vor der Strecke habe ich zugegebenermaßen allein schon wegen ihres Rufs ein wenig Angst. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich noch nie 1.000 Kilometer am Stück gefahren bin. Serbien und Nordmazedonien hatte ich bis jetzt auch noch nicht auf dem Schirm. Von diesen Ländern weiß ich gar nichts, außer, dass sie nicht zur Europäischen Union gehören.

Zuerst decke ich mich an einer ungarischen Tankstelle noch mit Kaffee ein. Denn in Serbien oder Nordmazedonien zu übernachten ist schon alleine wegen der geltenden Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus keine Option. An der serbischen Grenze wird mir dann doch ein wenig anders. Überall stehen Männer in Uniform herum, bewaffnet und mit einer Ausstrahlung, die sprichwörtlich „Macho“ schreit. Zu meinem Glück lande ich an einer Kontrollstation mit einer Beamtin der Grenzpolizei. Ihr männlicher Kollege hält sich demonstrativ im Hintergrund und wirft mir nur kurz einen etwas entgeisterten Blick zu. Weswegen weiß ich nicht. An dem kleinen Grenzhäuschen prangt demonstrativ ein Schild mit der Aufschrift „Gib Korruption keine Chance“.

Lea Hennrich: Reiseroute nach Thessaloniki
Reiseroute nach Thessaloniki

Als ich die Passkontrolle hinter mir lasse, sehe ich zu beiden Seiten der Fahrbahn Beamte, die ausländische Fahrzeuge untersuchen. Ich muss schlucken. Wenn sie mir den Wagen links machen, verliere ich kostbare Zeit. Wie durch ein Wunder, werde ich ohne weitere Nachfragen durchgewunken. Kurz hinter der Grenze halte ich an einem Rastplatz. Die morgendliche Rushhour in Budapest, die Aufregung und der Schlafmangel fordern jetzt ihren Tribut. Ich könnte an Ort und Stelle umkippen. Trotzdem fahre ich weiter, denn ein Nickerchen als Frau alleine auf einem Rastplatz auf dem Balkan kommt mir nicht in die Tüte. Schon alleine deswegen nicht, weil mein Auto zwar mitnichten das neuste Modell ist, verglichen mit denen, die hier herumfahren, sieht es jedoch aus wie ein gottverdammter Ferrari.

Die serbische Landschaft ist erst einmal vollkommen flach, nach einer Weile wird sie hügeliger. Mit mir sind, außer in den Ballungszentren, wenige andere Autos auf der Straße, die in einem noch schlechteren Zustand ist, als die in Ungarn. Mir bleibt keine Zeit die wunderschöne Umgebung zu bewundern, denn ich kämpfe immer stärker mit meiner Müdigkeit. Die vielen Baustellen helfen dabei auch nicht sonderlich, vor allem weil dort in aller Seelenruhe Serben über die Straße spazieren. Irgendwie haben die hier alle die Ruhe weg. Eigentlich dürfte ich in meiner Verfassung gar nicht fahren. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich momentan mein Glück herausfordere. Deshalb lege ich wenige Toilettenpausen ein, esse so gut wie nichts und kippe mir gelegentlich beim Fahren Wasser über den Kopf.

Entweder ich ziehe das jetzt durch oder ich halte am Straßenrand und gebe auf. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass aufgeben keine Option darstellt. Die Autofahrer, für die Tempolimits anscheinend nur eine Empfehlung darstellen, machen die Sache auch nicht einfacher. Doch es gibt immer wieder Momente, für die sich das Durchbeißen lohnt – sei es der zuvorkommende Tankjunge als ich dringend Benzin brauche oder die Schildkröte, die sich in den Kopf gesetzt hat, die Autobahn zu überqueren. Wahrscheinlich war das eine griechische Landschildkröte – ich wusste gar nicht, dass es die hier gibt. An den jeweiligen Mautstellen herrscht dann bei mir das endgültige Währungschaos. In Serbien bezahlt man mit serbischen Dinar, in Nordmazedonien gibt es den mazedonischen Denar und trotzdem will man an machen Stellen nur Euro von mir haben.

Als ich mich der nordmazedonischen Grenze nähere, wird es allmählich dunkel. Der Grenzbeamte fragt mich nach meinen Papieren. So weit, so gut. Dann möchte er noch meine Auslandsversicherung für mein Auto sehen. Hätte ich mich über diese Besonderheit im Vorfeld nicht informiert, wäre ich wahrscheinlich sehr überrascht gewesen. Da ich meine Hausaufgaben ausnahmsweise mal gemacht habe, reiche ich ihm den Nachweis ohne zu zögern.

Er dreht das Schriftstück verwirrt hin und her, bevor er mich in sehr gutem Deutsch fragt, was das hier bitte sei. Damit habe ich nun nicht gerechnet. Sein Deutsch ist nicht nur fließend, sondern fast akzentfrei. Nachdem ich ihn eine Sekunde lang ungläubig angestarrt habe, erkläre ich ihm, dass er auch gerne noch meine Kfz-Versicherung für Deutschland sehen kann, wenn das hilft. Er winkt ab und tippt kurz auf seiner Computertastatur herum. Anschließend wünscht er mir eine gute Weiterfahrt. Nochmal Glück gehabt, denn ohne gültige Versicherung, darf das Fahrzeug nicht eingeführt werden.

Ankunft in Thessaloniki

Von der Landschaft Nordmazedoniens sehe ich nicht besonders viel, weil es inzwischen stockdunkel ist. Da die Autobahn nur sehr spärlich an manchen Stellen beleuchtet ist, stellt der Vollmond die einzige Lichtquelle dar. Ich fahre durch eine kleineres Gebirge mit zum Teil sehr scharfen Kurven. Wenn man die Straße nicht kennt, kann das hier verdammt schnell tödlich enden. Dementsprechend hochkonzentriert fahre ich. Und bewundere gleichzeitig den Mond, der in der rabenschwarzen Nacht besonders gut zur Geltung kommt.

Allgemein scheint es in Nordmazedonien wenig Elektrizität zu geben. Ich komme nur an zwei größeren Städten vorbei, die ebenfalls überwiegend im Dunkeln liegen. Als die Uhr meines Navis eine Stunde vorspringt, weiß ich, dass ich mich der griechischen Grenze nähere, wo eine kleine Zeitverschiebung zu Deutschland herrscht. Von der Grenzkontrolle bis nach Thessaloniki ist es nicht mehr allzu weit. Ich freue mich schon sehr auf ein Bett nach dieser 13-stündigen Fahrt, die in meinem Leben definitiv zu den Grenzerfahrungen zählt.

Lea Hennrich:Deutsch, Ungarisch, Serbisch und Griechisch
Deutsch, Ungarisch, Serbisch und Griechisch

Voller Erwartung verlasse ich den Grenzbereich zwischen Nordmazedonien und Griechenland. Auf den letzten Metern brauche ich dann aber dringend eine Toilette, es hilft alles nichts. Doch weit und breit ist keine Tankstelle in Sicht. Letztendlich nutze ich eine der Parkbuchten direkt an der Straße, die nur durch eine Fahrbahnmarkierung von dem vorbeifahrenden Verkehr getrennt ist. Mein erster Eindruck vom griechischen Straßenverkehr ist mehr als einprägsam. Mir kommen zwei Lkw entgegen, einer davon auf meiner Spur. Obwohl ich versuche auszuweichen, wird es verdammt eng. In meiner Unterkunft angekommen, werde ich darüber informiert, dass ich mein Auto in einem nahegelegenen Parkhaus unterstellen kann. Dort nimmt man mir mehr oder weniger die Autoschlüssel aus der Hand. Während ich die Gebühr bezahle, parkt ein Mitarbeiter mein Auto. Die Schlüssel bleiben bis zu meiner Weiterfahrt im dortigen Büro. Hoffentlich sehe ich mein Auto übermorgen wieder.

Erste Berührung mit dem Land der antiken Philosophen

Meine Nacht war kurz. Denn ich befinde mich mitten im Stadtzentrum Thessalonikis, wo auch zu später Stunde noch reger Verkehr herrscht. Wie alle Südländer scheinen auch die Griechen überwiegend nachtaktiv zu sein. Ich bin gespannt, ob es hier ebenfalls die klassische „Siesta“ gibt, wie ich sie aus Spanien kenne. Noch sehr schlaftrunken stürze ich mich ins Getümmel. Zumindest bin ich dieses Mal zu Fuß unterwegs und kann mir die halsbrecherische Fahrweise in aller Ruhe vom Bürgersteig aus ansehen.

Lea Hennrich: Innenstadt von Thessaloniki
Innenstadt von Thessaloniki

Nachdem ich in einer Wechselstube meine ganzen ausländischen Währungen losgeworden bin, herrscht eine wunderbare Einheit in meinem Geldbeutel. Zumindest die Sorge mit dem Umrechnen bin ich ab sofort wieder los. Während ich durch die Stadt laufe, begegnet mir eine Vielzahl an Hunden, die scheinbar herrenlos einfach mitten im Weg rumliegt. Teilweise sehe ich auch einige Katzen. Ob die jeweiligen Tiere wirklich kein Zuhause haben, kann ich auf Anhieb nicht festmachen, denn es scheint in Griechenland drei Arten von Hunden zu geben:

  • Die, die kein Zuhause haben
  • Die, die zwar ein Zuhause haben, jedoch ohne Herrchen unterwegs sind
  • Die, die wie in Deutschland an der Leine spazieren gehen

Allgemein empfinde ich die Situation als ein wenig befremdlich. Trotzdem genieße ich den strahlenden Sonnenschein und das warme Wetter. Das ist definitiv kein Vergleich zu Deutschland um diese Jahreszeit. An der Hafenpromenade angekommen, erwartet mich ein beeindruckender Blick aufs blaue Meer. Genau dann dämmert mir so langsam die Erkenntnis, dass ich tatsächlich in Griechenland angekommen bin. Meine Stimmung ist gelinde gesagt euphorisch.

Lea Hennrich: Blick aufs Meer
Blick aufs Meer

Ohne Vorwarnung werde ich von dem Promoter eines lokalen Clubs angesprochen. Da ich alleine unterwegs bin und im T-Shirt herumlaufe, hat er mich anscheinend zielsicher als Ausländerin identifiziert. Alle Griechen, die ich sehe, sind mindestens zu zweit unterwegs und tragen einen Pullover, manche sogar einen Mantel. Ist denen etwa nicht heiß? Mir nichts, dir nichts habe ich ein Armband am rechten Handgelenk und realisiere sofort, dass mein Fehler war, stehen zu bleiben. Jetzt möchte der Kerl mit den Rastazöpfen doch tatsächlich auch noch Geld von mir. Kurz überlege ich, ob mir zwei Euro fünfzig den Ärger einer Diskussion wert sind. Ich komme zu dem Schluss, dass mir mein Seelenfrieden heute wichtiger ist und bezahle.

Den Rest des Tages gehe ich entspannt an, was bedeutet, dass ich einfach nur in der Gegend herumsitze, auf das Meer starre oder die Wolken betrachte. Außerdem fülle ich meinen Wasserhaushalt auf und schaufele Essen in mich hinein wie ein Scheunendrescher. Ich habe meinem Körper gestern wohl wirklich zu viel zugemutet. Die im Vergleich günstigen Preise tun ihr übriges. Ausnahmsweise gehe ich sogar früh ins Bett. Morgen fahre ich dann weiter nach Asini. Das sind noch einmal 600 Kilometer. Nach der gestrigen Fahrt bin ich allerdings mehr als guter Dinge.

Weitere Impressionen aus Thessaloniki

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